Mystik & Thomasevangelium – Nr. 114 – Unio Mystica
Der Vers - Unio Mystica
Simon Petrus sagte zu ihnen: „Maria soll aus unserer Mitte fortgehen, denn die Frauen sind des Lebens nicht würdig.“ Jesus sagte: „Seht, ich werde sie führen, damit sie männlich werde und sie ein lebendiger Geist werden mag, vergleichbar mit euch Männern. Denn jede Frau, die sich männlich macht, wird in das Himmelreich gelangen.“
Kommentar
Je primitiver und tierhafter der Mensch ist, desto stärker betont er den in seiner Verkörperung hervortretenden Pol seines Wesens - den männlichen oder den weibichen. Je höher er sich entwickelt, je näher er der Stufe des Geistmenschen oder genialen Menschen kommt, desto deutlicher enthüllt sich der innere Gegenpol seines Wesens als Mutterboden seiner Gewordenheit und als Quell seines Schöpfertums.
Je vollständiger er endlich zu sich selbst erwacht, seines allerinnersten göttlichen Selbst inne wird, sich zur Ebene des Gottmenschentums erhebt, desto mehr werden beide Pole seines Wesens eins und offenbaren mehr und mehr den Ewigen in ihm, der weder männlich noch weiblich, sondern göttlich ist.
Damit wird deutlich, was Christus mit seiner die Gegensätze ausgleichenden Antwort sagen will: Ich werde Maria zur Selbst-Besinnung leiten, damit sie mit ihrem inneren männlichen Gegenpol eins und damit euch, die ihr noch das Männliche höher wertet, gleich sei! Und ich werde sie darüber hinaus zur Selbstverwirklichung führen, so dass sie ein Geist und Wesen wird mit meinem wie mit eurem Selbst!
In dem Augenblick, in dem sie mit dem göttlichen Licht im Innern eins ward, ist sie lebendiger Geist, wie ihr und ich. Diese mystische Hochzeit ist mehr als die Vereinigung des animus und der anima des wachbewussten Ichbildes mit dem gegenpolischen Seelenbild zum über- und allbewussten Selbst-Bild.
Sie ist auch mehr noch als das, was sie in den Mysterienlehren symbolisiert: die höhere Einswerdung von Mann und Weib nicht nur äusserlich, sondern innerlich, die Wiedervereinigung von seit Ewigkeiten getrennten und sich suchenden Wesenshälften oder Zwillingsseelen.
Sie ist die der Erleuchtung folgende eigentliche Sysygie: die Einswerdung des Menschlichen mit dem Göttlichen, des Ebenbildes mit dem Urbild.
Ihr sollt vollständig sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollständig ist.