Mystik & Thomasevangelium – Nr. 38 – Nacht der Seele

Der Vers - Die Nacht der Seele

Jesus sagte: „Oft habt ihr euch gewünscht, diese Worte zu hören, die ich euch jetzt sage, und ihr habt keinen Anderen, von dem ihr sie hören könntet. Tage werden kommen, da ihr suchen und mich nicht finden werdet.“

Kommentar

Wie oft verlangt es uns nach Rat zu hören, seinen Trost zu empfangen, die Worte des Lichts zu vernehmen, seiner Gegenwart gewiss zu sein. Denn wir wissen, dass wir "keinen anderen haben, sie von ihm zu hören", dass niemand sonst uns raten, befreien und erlösen kann.

Aber wer den Weg nach innen geht, der weiss auch, dass es Stunden und Tage gibt, da die innere Stimme schweigt. Die Mystiker sprechen von der Dunklen Nacht der Seele, die den ersten Erleuchtungen folgt und der Einswerdung vorausgeht.

Es ist eine Zeit der seelischen Dürre, in der wir vergeblich nach innen lauschen. Doch in dieser Zeit der Erprobung unseres Glaubens und der Bewährung unseres Vertrauens geht vorüber und schliesslich wird unserem Sehnen Erfüllung, und die Stimme der Stille ertönt beseligender denn je.

Dann verwirklicht sich was Lukas sagt:

Wie der Blitz oben vom Himmel blitzt und leuchtet über alles, was unter dem Himmel ist, so wird des Menschen Sohn an seinem Tage sein und im Aufflammen des inneren Lichts sichtbar werden.

Um das zu erfahren, müssen wir in der Einwärtswendung der Wahrheit inne werden, der ein anderes vom Kirchenvater Epiphanias wiedergegebenes apokryphes Christus-Wort Ausdruck gibt:

Der Mensch schläft - und ich wache.

Das heisst: Ihr schlaft und erkennt mich nicht, obwohl ich in euch bin, indes ich wache und euch von innen her leite. Wendet euch einwärts - vom schlafumfangenen Ich des äusseren Menschen zum ewig wachen Selbst im inneren Menschen, und werdet euch meiner bewusst, damit ihr aus dem Reich der Toten in das der Lebenden eintretet! Solche "Toten" gibt es hüben wie drüben, und ebenso gibt es in beiden Welten zum Leben Erwachte, die das innere Wort vernehmen und ihm folgen.