Mystik & Thomasevangelium – Nr. 52 – Der Lebendige

Der Vers - Der Lebendige

Seine Jünger sagten zu ihm: „Vierundzwanzig Propheten haben in Israel gesprochen und sie alle haben von dir gesprochen.“ Er sagte zu ihnen: „Ihr habt den einzig Lebenden vergessen, der gerade vor euch steht, und Ihr habt nur von Toten gesprochen.“

Kommentar

Jesus nennt die Jünger Nichterkennende, wenn sie nach Dingen fragen und verlangen, die sie in Wirklichkeit besitzen. Sie blicken auf ihn als den Träger des göttlichen Lichts und den Erben des Reiches Gottes - und übersehen darüber, dass das Licht und die Fülle Gottes in gleicher Weise auch in ihnen lebendig ist.

Im obigen Herrenwort wendet Jesus sich gegen diese falsche Blickrichtung. Das gleiche Wort findet sich bei Augustin in der folgenden Lesart:

Den Aposteln erwiderte unser Herr, als sie ihn fragten, was man von den jüdischen Propheten denken solle, die den Vorfahren sein Kommen verkündet hätten: 'Ihr habt den Lebendigen, der vor euch steht, verstossen, und fabelt von den Toten'.

Jesus stellt damit klar, dass die Blickwendung auf die Propheten des Alten Testaments wie auch auf den letzten Künder Christi, Johannes der Täufer, sie vom Wesentlichen wegführt: von dem lebendigen Christus, der vor ihnen steht und der gleichermassen in ihnen ist.

Wunder

Alle Welt läuft Wunderntätern nach. Doch um das wesentlichste Wunder, das sich täglich vollzieht, wissen nur die Wenigen, die seelisch Erwachten: um die verwirklichende Macht des Glaubens. Diese Macht bewirkt Grösseres als die vorübergehende Überwindung des Hungers, der Not oder des Todes; sie wandelt Finsternis in Licht, Ungewissheit in Sicherheit, Leid in Seligkeit, und erfüllt das allen Daseinsverlängerungsbemühungen zum Trotz dem Untergang Geweihte mit dem göttlichen Geist unvergänglichen Lebens.

Doch das erfahren nur jene, die von ganzem Herzen glauben und sich vom Geist des Ewigen leiten lassen. Sie wachsen unmerklich aus dem körpergebundenen Ich-Dasein hinein in jenes lichtvolle Leben aus dem Geiste, das lebendige Teilhabe ist am Leben Gottes und darum so wandellos und zeitlos ewig wie Gott selbst.