Mystik & Thomasevangelium – Nr. 58 – Lichtwärts Leitendes Leid
Der Vers - Lichtwärts Leitendes Leid
Jesus sagte: „Lobt denjenigen, der gelitten hat und daraufhin das Leben fand.“
Kommentar
Durch nichts wird der Mensch an seinem Glauben leichter irre als durch Leiden. Wie kann Gott, der Geist der Liebe und Güte, mein Leiden wollen - etwas Ungutes und Böses! Wer so denkt, blickt auf das Aussen, nicht auf das Innen, gewahrt nur ein Teilstück, nicht das Ganze der Lebensbahn, und sieht in Gott ein Zwiefaches. Den Geist des Lichts und den Geist der Finsternis. In Wahrheit ist dieser Zwiespalt nicht in Gott, sondern im Menschen und seinem Gottesbild. Und solange er in dieser Wirklichkeitsblindheit verharrt, bleibt er dem Dunkel in ihm und ausser ihm unterworfen.
Erst wenn er zur Wahrheit erwacht, dass Gott das All-Licht ist, löst er sich aus der Finsternis der Leidverstricktheit, findet zur Freiheit der Kinder Gottes und wird zum Träger göttlichen Lichts.
Wahrheit
Wenn Jesus den Menschen, der gelitten hat, selig nennt, so nicht um des Leides, sondern um deswillen, dass das Leid ihn zur Selbst-Besinnung und Selbstverwirklichung leitete. Wie will der zum göttlichen Tröster finden, der kein Leid erfuhr oder ihm aus dem Wege ging und sich so der Möglichkeit begab, den Schleier der Nichterkenntnis zu zerreissen und im Blick nach innen zum Quell des Lichts zu finden?
Der Leidende, der sich von seinem Leid läutern und lichtwärts leiten liess, findet mit dem Licht das Leben und mit ihm die leidlösende Liebe. Schon im Leiden ist er der Seligkeit des Einsseins näher als der sich glücklich Wähnende, der noch in den täuschenden Freuden des äusseren Daseins aufgeht und erst mit ihrem Zugrundegehen enttäuscht sich einwärts wendet und sich selber auf den Grund geht.
Allen Leidenden ist das Eine gewiss, wenn ihnen das Suchen nicht leid wird. Als erstes wird ihnen die Einsicht, dass die Dinge und Geschicke nicht von aussen her bedingt sind und dass mit der eigenen inneren Wandlung auch die leidvolle äusseren Umstände sich umgestalten.
Schule des Lebens
Wir schreiten in der Schule des Lebens um so sicherer von einer Klasse zur nächsthöheren, je williger wir lernen. Nur für den Lernunwilligen werden die Lebenslehren härter und schwerer, damit er seine Aufgaben erkennt und löst und reifer wird. Wenn er nicht an sich arbeitet, tut es das Schicksal, dessen Druck nach vorn und Zug nach oben sich mildert, sowie er die Lehre erkennt und annimmt, sich überwindet, sich von innen her erneuert und dem Wege zur Vollständigkeit folgt - dem Wege zum Geist, der frei macht und leidenthoben.
Selig der gelitten hat.
Jesus fordert heldische Herzen, die sich aufwärts richten, jenseits des Leids die lichte Heimat spüren und sich in ihr geborgen wissen. Wer leidet ist dem Erwachen näher. Je beharrlicher er dem Sinn und der Lehre des Leides nachspürt, desto wacher wird er für die innere Führung, und desto stiller und williger. So leitet alle Leid zum Licht, wenn es zum Lassen und Hingeben führt - und zum Hinblicken auch auf den Nächsten:
Immer durchs Dunkel wandern ist Lichtes Los, immer leuchten den anderen, ob klein, ob gross. Immer den Schatten wehren, glühn ohne Ruh, brennend sich selbst verzehrend - Herz, so sei Du!
In der liebenden Selbstentflammung fällt das Licht von innen in die Dunkelheit des Leides und leitet seinen Träger himmelwärts. Ihm werden Schmerzen und Leiden Weiser zum Licht, Enthüller verborgener Kraft und Erfüller geheimen Sehnens. Was ihn heim-sucht, führt ihn himmelwärts zum Heilsein und Einssein. Das Stillewerden in Gott stillt die Not und öffnet ihm die Augen für den Löser des Leids, das göttliche Selbst.