Mystik & Thomasevangelium – Nr. 60 – Rechte Enthaltung

Der Vers - Rechte Enthaltung

Er sah (gerade) einen Samariter, der ein Lamm trug und nach Judäa ging. Er sagte zu seinen Jüngern: „Was will dieser mit dem Lamm?“ Sie sagten zu ihm: „Er wird es töten und essen.“ Er sagte zu ihnen: „Während es lebt, wird er es nicht essen, sondern erst, wenn er es tötet und es ein Leichnam sein wird.“ Sie sagten: „Anders kann er es nicht tun.“ Er sagte zu ihnen: „So ergeht es euch auch, ihr sucht einen Ort zur Ruhe, damit ihr nicht ein Leichnam und gegessen werdet.“

Kommentar

Aber über die aus diesem Ausdruck sprechende Haltung hinaus, die die Vermutung bestätigt, dass in dem Kreis der Jünger und Nachfolger Christi die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben auch in der Form der Enthaltung vom Fleischgenuss als selbstverständlich galt, zielt Christi Wort auf die viel weiter gehende Enthaltung vom Weltgenuss, auf die Abwendung von der Einverleibung der Leichnams der Welt.

Das Wort wendet sich allgemein gegen jedes gierhafte Aufnehmen und Besitzwollen des Stofflich-Vergänglichen, das den Menschen in steter Furcht vor dem Schwinden und dem Verlust des gewonnenen Besitzes leben und ihn nicht zur Ruhe und Selbst-Besinnung kommen lässt. Anders der Weise, der nicht am Sinnhaften hängt, sondern, gierfrei lebend, einwärts, auf das Wesenhafte, nicht Verwesbare gerichtet ist und um die Ruhe, die Stille und den Frieden des Innern weiss.

Gleich diesem - so mahnt Christus im Schlusssatz alle, die ihm nachfolgen - suchet auch ihr den Ort der Ruhe, damit ihr nicht mit dem Vergänglichen vergeht, zu Kadavern werdet und aufs neue dem ewigen Kreislauf alles Gewordenen verfallt, sondern das Rad des Werdens und Vergehens zum Stillstand bringt und des Ewigen Lebens teilhaftig werdet, das sich nicht von vergänglichem Leben nährt.