Mystik & Thomasevangelium – Nr. 87 – Der Lebendige Mensch

Der Vers - Der Lebendige Mensch

Jesus sagte: „Wie elendig ist der Leib, der von einem Leib abhängig ist und wie elend ist die Seele, die von diesen beiden abhängt.“

Kommentar

Selbst die geistig noch Schlafenden, die ganz im Leibesleben aufgehen, staunen über ihr Vermögen, einen Menschen zu schaffen, der aus zwei Zellen, die eins wurden, zu einem beseelten Zellenstaat heranwächst und anders ist als die, die ihn ins Dasein riefen. Aber von der weit grösseren Schöpfermacht des göttlichen Geistes, der in ihnen lebendig ist, wissen sie nichts.

Wie diese Unerwachten, die noch im Sinnentraum befangen sind, gehen auch die Halberwachten - obwohl der Schleier der Nichterkenntnis vor ihren Augen schon teilweise zerriss - noch weithin in ihrem äusseren Menschentum und in den Wundern und Beglückungen äusseren Einssein auf. Die grösseren Aufgaben des Lebens aus dem Geiste und die höhere Seligkeit des inneren Lebens, des Einssein von Seele und Geist, sind ihnen noch verborgen.

Jene, die noch ganz ihrer Körperlichkeit hingegeben sind und in der körperlichen Verbindung das höchste Glück des Erdendaseins sehen, haben die Tierstufe blosser Sinnhaftigkeit noch nicht überschritten. Sie haben sich noch nicht als Seele und Geist erkannt. Sie wissen infolgedessen noch nichts von der Seligkeit geistigen Einssseins.

Der lebendige Mensch - der innere Mensch, der aus dem Geiste lebt - ist bei ihnen noch schlafumfangen. Erst wenn er, vom Leid geweckt oder als Frucht beharrlicher Einwärtswendung des äusseren Menschen, zu erwachen beginnt, werden die grösseren, höheren Möglichkeiten des Lebens aus dem Geiste und damit die eigentliche Bestimmung des Menschen sichtbar. Auf dem Weg nach innen zur geistigen Vereinigung zu gelangen - zum Einssein des inneren Menschen mit dem göttlichen Selbst im Nächsten - und im weiteren zur Höchsten Einheit, zur unio mystica, zum Einssein mit dem göttlichen Urgrund.

Alles Lebendige, das, dieser seiner Bestimmung und Aufgabe noch unbewusst, nach aussen blickt, nur das Leibliche sieht und am Vergänglichen hängt, ist unselig - und zugleich ist es selig von oben her gezogen, auf dem Weg zu diesem Gipfel der Vollkommenheit ist.

Dieser Weg wird ihm aber erst bewusst, wenn es seiner selbst, seines Tuns und dessen inne wird, wofür der Vollendete ihm die Augen öffnen will.