Mystik & Thomasevangelium – Nr. 92 – Der Weg der Meditation

Der Vers - Der Weg der Meditation

Der Weg der Meditation - Jesus sagte: „Suchet und ihr werdet finden.“ In der Vergangenheit teilte ich euch nicht die Dinge mit, die ihr mich gefragt hattet. Jetzt gefällt es mir, es euch zu sagen, aber ihr fragt nicht mehr.“

Kommentar

Diese Mahnung will recht verstanden werden, nicht nur hier und da, sondern allezeit sollen wir einwärtsgewendet, wach und empfangsbereit sein für das innere Wort.

Damit wir vom Suchen zum Finden gelangen, von der Selbstbesinnung zur Selbsterkenntnis und von da zur Gott-Erkenntnis, gilt es, uns in der Abgeschiedenheit selbst-besinnenden Schweigens wie im Alltag immer bewusster auf die innere Führung zu sammeln, die Schranken des subjektiven Bewusstseins zu überspringen und zur transsubjektiven inneren Wirklichkeit zu erwachen, um unserer inneren Lichtheit und Gottunmittelbarkeit bewusst zu werden.

Damit werden wir auf das wichtigste Mittel und den sichersten Weg zum Vernehmen des inneren Worts hingewiesen: auf den Weg der Meditation.

Um deutlich zu machen, was selbstbesinnende Meditation für uns bedeutet, sei zuvor herausgestellt, was sie nicht ist. Sie hat nichts zu tun mit dem heute Mode gewordenen Missbrauch der Meditation für äussere, weltliche Zwecke. Sie ist keine blosse Technik der Entspannung und seelischen Harmonisierung, wie sie in der Psychotherapie angeraten und geübt wird. Sie ist vielmehr die Brücke zur Kontemplation, zur Selbstversenkung und Entsinkung in Gott.

Der Weg der Meditation

Sie dient nicht der Entfaltung des Ich und der Pflege der Persönlichkeit, sondern der Offenbarung des göttlichen Selbst. In ihr wird nicht Wissen erstrebt und erlangt, sondern Gewissheit und Gottesweisheit. Sie ist keine Denk- und Bewusstseinsschulung mit dem Ziel der Bewusstmachung des Unbewussten. Denn im Reich des Unbewussten ist weder Selbst- noch Christus-Erkenntnis möglich. Dazu muss man über das Unbewusste und Überbewusste hinaus zum Kern des Menschenwesens durchstossen: zum göttlichen Selbst.

Meditative Selbstbesinnung hat auch nichts mit psychischen Phänomenen und Erlebnissen zu tun, die auf auf dem Innenwege vorübergehend auftreten, sondern allein mit dem Selbst. Hellsehen und andere aussersinnliche Fähigkeiten gehören noch dem seelischen Bereich an, nicht dem Geiste. Die Entfaltung der inneren Sinne ist auch nicht vom Ich aus bewirkbar; sie öffnen sich von selbst, wenn das Ich zurücktritt und das Selbst die Führung übernimmt.

Wo das Ziel der Meditation nur die Erkenntnis höherer Welten ist, ist noch nichts Wesentliches erreicht. Denn das allein Wesentliche ist das Selbst, weil es der unmittelbare Zugang zu Gott ist, das Tor zur Einswerdung. Der Wahrheitssucher muss das Übersinnliche ebenso hinter sich lassen wie das Sinnliche, um zum Wesen durchzustossen; zur Schau des Geistes, zur Erkenntnis des Selbst.

Gnosis und Magie

Hier scheiden sich die Geister, die einen gehen den Weg der Gnosis und Magie, der mit dem Wachwerden der magischen Kräfte der Seele und wachsender Macht lockt; die anderen folgen dem Pfad der Mystik, der durch das Tor der Hingabe und Entwerdung zur Reinigung, Erleuchtung und Einswerdung führt.

Meditative Selbstbesinnung ist nicht lehrbar, weil hier jeder seinen eigenen Weg nach innen suchen, finden und gehen muss, auf dem ihn keiner begleiten kann. Wo gefordert wird, dass einer als Schüler einem Meister folge, bleibt der einem anderen Folgende im Vorhof des Tempels. In das Allerheiligste eintreten kann er nur allein - über die Schwelle der Selbst-Besinnung. Dazu bedarf er keines äusseren Lehrers; hier wird er allein vom inneren Führer geleitet: von Christus in ihm.