Zen Koan – Hekiganroku – Nr. 18 – Der Kaiser fragt nach der Pagode

Das Beispiel

Der Kaiser Dai-Dsung fragte den uralten Landesmeister Dschung: "Was soll nach hundert Jahren sein?" Der Landesmeister erwiderte: "Baue dem alten Mönch eine nahtlose Pagode." Der Kaiser sagte: "Gut, Meister, gebt uns bitte einen Plan dazu." Der alte Meister hielt auf das hin eine gute Weile schweigend an sich. Schliesslich sprach er den Kaiser an: "Hast du es begriffen?"

Der Kaiser schüttelte leicht den Kopf: "Ich verstehe nicht." Da sagte der Landesmeister: "Ich habe einen Schüler namens Tangen, dem ich das Gesetz übertragen habe. Der kann dir den Plan auswendig hersagen. Bitte, lass doch den einmal kommen und frage ihn danach." Nachdem der Landesmeister in die Verwandlung eingegangen war, liess der Kaiser den Meister Tangen kommen und fragte ihn, wie das mit der Pagode ohne Naht gemeint war. Tangen antwortete: "Die nahtlose Pagode?... Von Hsiang steht sie im Süden, von Tan reicht sie nach Nord.

(Setcho: Eine Hand allein ins Blaue klatscht nicht.)

Ist lauteres Gold darin und erfüllt das Reich.

(Setcho: Statt eines reichverzierten Pilgerstabes ein Stück Naturholz frisch vom Bergwald.)

Unter schattenlosem Baum nimmt ein grosses Schiff alle mit.

(Setcho: Die Meere ruhig, die Ströme rein.)

Im Glaspalast weiss man von Meistern nicht ein Wort.

(Setcho: Alles ist ausgeschöpft.)

Engo's Einführung

Im Jahr 734 wurde dem viel würdigen Einsiedler die Leitung eines Zen- Klosters in Nun-Yang übertragen, wohin auch die Grossen der Welt zu ihm pilgerten. Man berichtet, dass er sich vor keinem noch so hohen Besuch jemals von seinem Sitz erhoben habe. Als eine politische Rebellion auch den Bezirk Nan-Yang betraf, legte die Obrigkeit dem Meister nahe, zu fliehen. Er aber blieb, wie und wo er sass, und als Aufständische mit Schwertern auf ihn eindrangen, da verharrte Hui-Dschung "wie in eine numinose Wolke der Unzugänglichkeit gehüllt" auf seinem Sitz und "zeigte in Wort und Miene nicht die geringste Unruhe."

Die Rebellen waren darüber derart verblüfft, dass ihr Anführer, von der Todesverachtung und der hohen Grazie dieses zenmässigen Unberührtseins ergriffen, ihn als Meister verehrte und später sein Schüler wurde. Lehrvorträge, selbst am Kaiserhofe, folgten. Hui-Dschung nahm sich überall die Narrenfreiheit, unverblümt und von Herzen zu reden: Als einziger Aussenstehender hatte er sogar die allerhöchste Erlaubnis, sich jederzeit auf der Sänfte bis ins Innere des Palastes tragen zu lassen. Das blieb auch so, als der alte Kaiser gestorben war und sein Sohn Dai-Dsung dem Meister ein anderes Kloster "Behausung des Lichts" übergeben hatte.

Als Berater des Landesherrn hiess Hui-Dschung ab dann Landesmeister Dschung. Er sichtete vor allem das unterschiedliche Mönchstum im Land und bestätigte von den unzähligen, teils auch verwahrlosten Mönchen nur zehntausend der Insassen der massgebenden Klöster des Reichs. Das Verhältnis zum alten Kaiser war geradezu freundschaftlich gewesen; mit dem jüngeren Kaiser Dai-Dsung kam es nicht mehr zu dieser seltenen Innigkeit: es blieb bei gegenseitiger Anerkennung. Wir stehen im Jahre 775 , der Landesmeister hat das hundertste Lebensjahr erreicht (Dai-Dsung ist 49). Aus Anlass des seltenen Geburtstages wird der Landesmeister mit geziemender Ehrerbietung empfangen.

Der Kaiser, ein tüchtiger Pragmatiker, weiss, dass der greise Landesmeister hier zum letzten mal erscheint, und überlegt, was er dem ersten Geistlichen des Landes schuldig ist: er wird ihm nach seinem Tod ein Denkmal errichten müssen.

Vers

Eine nahtlose Pagode, ist schwer zu beschreiben. Den blauen Drachen hält's nicht lang in klaren Wassers Grund. Stufe für Stufe, wirft es hervorragend Schatten. Lasst dies bewundert werden für tausend Generationen.