Zen Koan – Hekiganroku – Nr. 38 – Zen Meister Fuketsu und der Eiserne Stier
Das Beispiel
Der Staatsvogt hatte den Zen Meister Fuketsu zu sich gebeten und begann seinen Vortrag mit einem Gleichnis: "Ihr alle kennt den Eisernen Stier von Schan, den unerschütterlichen Felsen in den Schluchten des Gelben Stroms. Und der den Wassermassen immer standhält und die Stadt vor Überflutung schützt. Das Geistessiegel unserer Patriarchen widersteht allen Gegenströmungen mit der Kraft eines solchen Eisernen Stiers. Wir haben die Überlieferung des Geistessiegels von Geist zu Geist. Hat einer den GEIST, würdig des Geistessiegels, so bedarf er des Siegels an sich nicht. Oder macht das Siegel, an jemanden weitergegeben, diesen zum besiegelten Meister?
Das Geistessiegel allein macht es nicht, und ohne geht es nicht. Ist es, genau besehen, notwendig, das Siegel zu erteilen oder sollte man das Siegeln besser bleiben lassen? Jeder der Anwesenden weiss wohl, dass Nan-Yüan einst dem Fuketsu das geheimnisvolle Siegel weitergab, das doch ewig ein und dasselbe ist: und doch ist der Siegelträger Fuketsu, als eigenständige Person, ein ganz anderer Meister als sein Vorgänger. Wie stimmt das überein mit der Unerschütterlichkeit des Eisernen Stierst? Wo bleibt die diamantene Festigkeit des Geistessiegels? Wer löst den Knoten dieses Widerspruchs?"
Nun befand sich unter der Hörerschaft der Kloster-Älteste Lu Be. Er trat vor und sagte: "Der hier vor Euch steht, besitzt die wirkende Kraft des Eisernen Stiers. Verzichtet bitte, Meister, mir das Siegel aufzudrücken." Fuketsu antwortete darauf mit seinem Vers: "Ich bin gewohnt, durch Walfischfang des Meeres Flut zu klären. Dem Frosch im Schlamme nachzuwaten, presst mir nur Seufzer aus."
Lu Be blieb vor dem Meister wie angewurzelt stehen und sann nach. Da fuhr in dessen Nachdenken Fuketsu mit einem mächtigen Ho'! hinein und rief: "Ältester, warum habt Ihr nichts mehr vorzubringen?" Lu Be trat von einem Fuss auf den andern und rang nach Worten. Fuketsu wischte dem Tiefgetroffenen behutsam mit seinem Jakschweif über den Kopf und forderte den Ältesten auf: "Erinnert Euch an das, was Ihr gesagt habt, und nehmt dazu Stellung!" Lu Be, die echte Überlegenheit anerkennend, machte kaum noch eine Miene, den Mund aufzutun.
Und wieder führte der Meister einen Streich nach ihm mit seinem Jakschweif. Da brachte der Staatsvogt die Bemerkung an: "Gesetz und Königsgesetz sind beide von derselben Art." Fuketsu fragte ohne erkennbare Ironie zurück: "In welchem Sinne versteht Ihr das?" Der Vogt antwortete mit einem konfuzianischen Zitat: "Wo Entscheidung nottut, nicht entscheiden, bringt erst recht eine Sache in Verwirrung." Ohne Kommentar auf diesen Gemeinplatz stieg Fuketsu von seinem Zen-Sitz herunter und ging hinaus.
Engo's Einführung
Was den Weg zur Erkenntnis der Selbstnatur betrifft, neigen viele der stufenweisen "Allmählichkeit" zu. Schritt für Schritt der Wahrheit des Heiligen und der ganzen Weltordnung entgegen. Siebenmal geradeaus und achtmal in die Quere, bis alle Irrtümer überwunden sind, alles transparent ist und sich erhellt.
Manch andere halten es lieber mit der "Plötzlichkeit", erinnern an die ständige Gegenwart der höchsten Wahrheit in jedes Menschen innerster Natur. So dass Erhellung, Erleuchtung Sache eines Augenblicks, eines insgeheimen Vorgangs ist, bei dem der Zweifel aus sich selbst heraus mit einem Schlag aufbricht und ins Erwachen umschlägt.
Oft gibt es da weder Vor-Zeichen noch auch nachher Spuren festzustellen, mögen selbst Hunderte von Heiligen danach suchen. Grosse Meister überschreiten alle methodischen Unterscheidungen wie "Allmählichkeit" und "Plötzlichkeit"; sie halten es mehr mit dem Sprichwort: "Dem aufgeweckten Mann ein Zuruf, dem munteren Pferd die Sporen!" Wenn zwischen allmählich und plötzlich es zur "Sekunde der Wahrheit" kommt, erweist sich ein wahrer Meister.
Vers
Er fängt Lu Be und bürdet ihm den Stier von Eisen auf. Drei Tiefen sind ihm Speer und Wehr; schwer fällt Erwid'rung drauf.